Zum Urteil des Bundesgerichtshofes zur Inhaltskontrolle
von Eheverträgen (XII ZR 265/02)

Von Rechtsanwalt Stefan Hiller, München

Die Frage der Wirksamkeit von Eheverträgen ist von großer allgemeiner Bedeutung und besitzt insbesondere für Vermögende und Unternehmer eine ganz erhebliche Tragweite. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr in seiner mit Spannung erwarteten Entscheidung vom 11.02.2004 (XII ZR 265/02) zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen Stellung genommen. An­lass hierzu war die Revision gegen ein Urteil des Oberlandesgerichtes München (Az: 4 U7/02), das einen Ehevertrag unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundes­verfassungsgerichtes zur Inhalts­kontrolle von Eheverträgen als unwirksam angesehen hatte.

Ein gut verdienender Unternehmensberater hatte Unterhaltszahlungen an seine Ehefrau vertraglich beschränkt und den Zugewinnausgleich sowie den Versorgungs­ausgleich ausgeschlossen. Für die Alters­vorsorge der Frau hatte er eine Lebensversicherung über € 40.000,00 abgeschlossen. Das OLG München sprach der Ehefrau dennoch im gesetz­lichen Umfang nachehelichen Unterhalt sowie Zugewinn­ausgleich zu. Das Urteil hatte Anlass zu heftigen Diskussionen darüber gegeben, welche Folge es gehabt hätte, wenn der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Oberlandesgerichtes München bestätigt hätte. Eine Vielzahl von existierenden Eheverträgen und Scheidungs­vereinbarungen wäre dann unwirksam gewesen und der Spielraum für Eheverträge und Scheidungs­vereinbarungen wäre sehr eng geworden.

BGH-Urteil ebnet den Weg für umfassende Inhaltskontrolle von Eheverträgen

Der Bundesgerichtshof hat sich jedoch der Auffassung des OLG München nicht angeschlossen, das Urteil aufgehoben und den Fall zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als könnten diejenigen, die sich durch ehevertraglichen Verzicht auf Unterhalt, Versorgungs­ausgleich, Zugewinnausgleich und möglicherweise auch Erbe und Pflichtteil ihrer Rechte begeben hatten, nicht auf eine Korrektur durch die Gerichte hoffen und diejenigen aufatmen, die sich durch entsprechende Verzichte in Eheverträgen vor dem Zugriff des geschiedenen Ehegatten auf ihr Einkommen und Vermögen stützen wollten. Dies wäre jedoch eine in ihren möglichen Folgen verhängnisvolle Fehlinterpretation der nunmehr durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes geschaffenen Rechtslage.

Vorsicht bei Eingriffen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts angebracht

Danach steht es den Ehegatten zwar grundsätzlich frei, die gesetzlichen Regeln über den Zugewinn, den Versorgungsausgleich und den nachehelichen Unterhalt ehevertraglich auszuschließen, doch darf der Schutzzweck dieser Regelung nicht beliebig unterlaufen werden. Die Grenze wird dort gezogen, wo die vereinbarte Lastenverteilung der indivi­duellen Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse in keiner Weise mehr gerecht wird, weil sie evident einseitig ist und für den belasteten Ehegatten bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Dies ist um so mehr der Fall, je mehr der Ehevertrag in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechtes eingreift. Zum Kern­bereich gehören in erster Linie der Unterhalt wegen der Kindesbetreuung und in zweiter Linie der Alters- und Krankheitsunterhalt, denen der Vorrang vor den übrigen Unterhaltstatbeständen (z. B. Ausbildungs- und Aufstockungsunterhalt) zukommt. Der Versorgungsausgleich wird mit dem Unterhalt wegen Alters auf gleiche Stufe gestellt, da der Versorgungsausgleich als vorweggenommener Altersvorsorgeunterhalt angesehen wird. Der Ausschluss des Zugewinnausgleichs schließlich unterliegt für sich allein genommen angesichts der Wahlfreiheit des Güterstandes keiner Beschränkung.

Überprüfung von Eheverträgen vollzieht sich in zwei Stufen

Die Überprüfung von Eheverträgen vollzieht sich in zwei Stufen. Auf der ersten Stufe steht die Prüfung der Wirksamkeit des Ehevertrages, bezogen auf den Zeitpunkt des Ver­tragsschlusses. Hier kommt es auf die Gesamtwürdigung der individuellen Ver­hält­nisse der Ehegatten an, insbesondere hinsichtlich ihrer Einkommens- und Vermögens­verhältnisse und ihres geplanten oder bereits verwirklichten Lebenszuschnittes. Werden Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder in erheblichen Teilen abbedungen, ohne dass dieser Nachteil durch andere Vorteile gemil­dert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten gerechtfertigt wird, so kann der Vertrag unwirksam sein. Ist er unwirksam, so treten an dessen Stelle die gesetz­lichen Regelungen zum Unterhalt, Versorgungsausgleich und Zugewinnausgleich.

Ein wirksam abgeschlossener Ehevertrag unterliegt in der zweiten Stufe einer Aus­übungs­kontrolle, inwieweit die Berufung auf den Ausschluss gesetzlicher Scheidungs­folgen angesichts der aktuellen Verhältnisse nunmehr missbräuchlich erscheint und deshalb das Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand des Vertrages nicht mehr schutzwürdig ist. In einem solchen Fall hat der Richter die Rechtsfolge anzuordnen, die den berechtigten Belangen beider Parteien in ausgewogener Weise Rechnung trägt.

Weitreichende Folgen für die Gestaltung und Abwicklung von Eheverträgen

Diese Vorgaben des Bundesgerichtshofs zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen haben weitreichende praktische Konsequenzen sowohl für die Vertragsgestaltung als auch für die Vertragsabwicklung. Höchste Zurückhaltung wird künftig in Bezug auf Regelungen geboten sein, die den Ausschluss und die Modifikation des Kinderbetreuungsunterhaltes sowie des Unterhaltes für Krankheit und Alter vorsehen. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn der Ehepartner bei Eheschließung über kein oder nur geringes Einkommen verfügt und auch auf kein Vermögen zurückgreifen kann oder plant, seine Erwerbs­tätigkeit nach der Eheschließung aufzugeben. Als kritisch wird auch ein Ausschluss des Alters­vorsorgeunterhaltes in den Fällen gesehen werden müssen, in denen der Ehepartner während der Ehe keine Versorgungsanwartschaften erwirbt. Auch von der Ver­ein­barung eines Ausschlusses des Versorgungsausgleiches ohne Gewährung einer adäquaten anderweitigen Altersvorsorge ist abzuraten, um der Gefahr der Rechts­widrig­keit des Vertrages zu begegnen, die dann auch den Ausschluss eines etwa vereinbarten Zugewinnausgleichs sowie Erb- und Pflichtteilsverzichte erfassen könnte.

Prekär ist die Situation für all diejenigen, deren Ehevertrag nach den nunmehr durch den Bundesgerichtshof aufgestellten Kriterien als sittenwidrig und damit unwirksam an­gesehen werden muss. Ist die Ehe bereits gescheitert, dürften Korrekturmöglichkeiten ausgeschlossen sein. Den Paaren, deren Ehe nicht gescheitert ist, stehen heikle Verhand­lungen bevor, die dann zwingend sind, wenn beispielsweise gesellschaftsvertragliche Ver­­pflichtungen einen Zugewinnausgleich des Ehegatten verlangen. Betroffen sind jedoch auch jene, die ihr Unternehmen oder Erbe schützen wollten oder es durch beruf­liche Karrieren zu großem Einkommen und Vermögen gebracht haben.

Regelmäßige Überprüfung der ehevertraglichen Vereinbarungen sinnvoll

Auch wenn der Vertrag nicht anfänglich sittenwidrig und unwirksam ist, besteht aller Anlass dafür, in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob die aktuellen Verhältnisse noch mit den vertraglichen Vereinbarungen im Einklang stehen. Hat etwa der Ehegatte entgegen der ursprünglichen Absicht im Laufe der Ehe seine Berufstätigkeit aufgegeben oder sein Vermögen verloren, so kann eine Anpassung erforderlich werden. Diese ist zum einen durch eine Abänderung des Vertrages möglich, um diesen den aktuell geän­derten Verhältnissen anzupassen, oder aber dadurch, dass die Verhältnisse nachträglich – etwa durch Übertragung eines Vermögensgegenstandes oder Be­gründung einer Lebens­versicherung – so gestaltet werden, dass eine Anpassung des Vertrages unnötig wird. Ob und ggf. welche Korrektur angezeigt ist, kann nur für jeden Einzelfall unter Berück­sichtigung der individuellen Verhältnisse gesondert beurteilt werden.

Weiter erhebliche Rechtsunsicherheit trotz BGH-Urteil

Trotz der Entscheidung des Bundesgerichtshofes bleibt erhebliche Rechtsunsicherheit. Sie wird im Laufe der Zeit durch weitere Konkretisierung beseitigt werden müssen. Das Urteil wird jedenfalls von denjenigen, die sich bei Vertragsschluss oder bei Scheidung der Ehe einseitig benachteiligt fühlen oder gefühlt haben, als Ermunterung zur Klage aufgefasst werden. Auch bereits geschiedene Ehepartner müssen in diesen Fällen befürchten, noch nachträglich auf Unterhalt oder Versorgungsausgleich in Anspruch genommen zu werden. Im Extremfall ist auch der Zugewinnausgleich kein Tabu.

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